Alte Gemuese - neu entdeckt: die Steckruebe. Bastarde seien die
Kinder der Liebe, sagt man und huellt den Rest in Schweigen. Werden
die unverhofften Sproesslinge geliebt oder verachtet, begehrt oder
kaltgestellt? Der Steckruebe, dem Bodenkohlrabi - vermutlich aus der
Verbindung von Kohlrabi und Herbstruebe entstanden - war und ist
beides beschieden.
Wer "Ruebe" hoert, ruempft gern die Nase. Bei den Aelteren ist sie als
Kriegsessen verpoent, von den Juengeren wird sie kaum beachtet. Zu
Unrecht. Anspruchslos im Anbau, schnellwachsend und ertragreich hat
diese Ruebe wohl manche Familie vor dem Schlimmsten bewahrt: in
Zeiten wo Schmalhans in den Kuechen regierte, hatte die Steckruebe
jeweils Konjunktur.
Zumindest die Namensvielfalt ist ueppig fuer die Steckruebe, die
Erinnerungen an karge Kost weckt: Dorsche, Dotsche, Wruke, Oldenburger
Ananas, Unterkohlrabi, Schmalzruebe, Bodenruebe oder Kohlruebe lauten
die Bezeichnungen der alten Kulturpflanze, deren genaue Herkunft
ebenso unbekannt ist wie ihre Wildformen. Vermutet wird, dass sie vor
einigen Jahrhunderten im westlichen Mittelmeergebiet aus Kohlrabi und
Herbstruebe gezuechtet wurde. Wahrscheinlich wurde sie schon von
Galliern und Kelten angebaut, der erste Nachweis ihrer Kultivierung
stammt aber aus Babylon.
Neben wertvollen Mineralstoffen liefert die Steckruebe vor allem die
Vitamine B1 und B2 sowie rund 33 mg Vitamin C / pro 100 g. Staerke-
und zuckerreich ist sie, dennoch ist sie das kalorienaermste
Wurzelgemuese (32 Kilokalorien pro 100 g), bedingt durch ihren hohen
Wasseranteil von 84 Prozent. Ihr Geschmack aehnelt dem herbsuesser
Moehren.
Geerntet wird sie ueberwiegend in den Monaten Oktober und November.
Doch laengst ist der Steckruebenanbau zur Randerscheinung in der
heimischen Gemueseproduktion geworden. Wohl auch, weil die Steckruebe
im Geschichtsrueckblick ein Synonym fuer Hunger- und Notzeiten
geworden ist.
So wurden damals in den "Steckruebenwintern" des ersten Weltkrieges
grosse Teile der Bevoelkerung mit der Ruebe in den rund 1.500
Suppenkuechen des Deutschen Reiches mehr schlecht als recht versorgt.
Gegen Ende des Krieges waren es z.B. in Hamburg rund 18 % der
Bevoelkerung. Den hungernden Menschen blieb auch nichts uebrig als
den waessrigen Eintopf zu essen. Denn das kaiserliche Regime erwies
sich als unfaehig den Wucherern im inlaendischen Lebensmittelhandel
das Handwerk zu legen und ersann deshalb diese Form der
Massenverpflegung.
* Kompiliert durch Rene Gagnaux
Nach der Wdr-Sendung Kostprobe
von Januar 96 sowie andere Quellen