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In der Welt von heute gibt es kaum eine rein nationale Küche ohne
fremde Einflüsse. Auch die herkömmliche jüdische Küche ist nicht
frei davon, hat aber seit Jahrhunderten ihren Originalcharakter
gewahrt. Ihre Besonderheit verdankt sie vor allem dem mächtigen
Einfluss religiöser Vorschriften, die für den täglichen
Speisezettel gelten.
Keine andere Religion hat in der Geschichte eines Volkes eine so
erstrangige Rolle bei der Herausbildung seiner nationalen und
kulturellen Identität gespielt wie der Judaismus. Jahrhunderte
hindurch musste er eine doppelte Funktion erfüllen. Er gestaltete
das geistige und ethische Leben seiner Bekenner und war zugleich ein
Faktor, der das seiner Eigenstaatlichkeit beraubte Volk integrierte.
Einerseits also vereinte er ehe Bekenner desselben Glaubens,
andererseits unterschied er sie von den Anhängern anderer
Bekenntnisse, und zwar nicht nur auf der religiösen, sondern auch
auf der nationalen Ebene.
Der Judaismus schrieb seinen Bekennern strenge Regeln für das
tägliche Leben vor, darunter auch solche, die darüber bestimmen,
was, wie und wann man essen darf. Die allgemeinen und detaillierten
Vorschriften für die Zubereitung von Speisen sind im heiligen Buch
des Judaismus, der Bibel, im Talmud - einer Sammlung der jüdischen
Gesetze, welche zuerst mündlich überliefert und dann bis zum 6.
Jahrhundert schriftlich niedergelegt wurden - wie auch in dem aus dem
16. Jahrhundert stammenden Kodex "Schulchan Aruch" (Gedeckter Tisch)
enthalten.
Sie legen sowohl eine genaue Einteilung von Tieren in rituell "reine"
und "unreine", also in geniessbare und ungeniessbare, fest, als auch
die Arten der Zubereitung von koscheren Speisen ("kascher" beisst auf
hebräisch tauglich, geeignet) aus den "reinen" Tieren.
Unter den Säugetieren werden zu den rituell reinen nur jene
gerechnet, die gleichzeitig Paarhufer und Wiederkäuer sind, d.h.
Kälber, Rinder, Rehe, Hirsche, Schafe, Ziegen und Büffel. Als
rituell unrein gelten also das Schwein oder das Wildschwein, da sie
nicht zur Gruppe der Wiederkäuer gehören, obwohl sie Paarhufer
sind, oder das Pferd und der Esel als Einhufer mit nur einem Magen.
Von den Vögeln, deren Definition nicht so eindeutig ist wie die der
Säugetiere, werden alle Hausvögel wie Enten, Hühner, Gänse,
Tauben und Puter (gegen letztere haben manche Bekenner des Judaismus
bis heute Vorbehalte, da die Quellen keine Angaben darüber machen)
sowie solche Wildvögel wie Wachteln, Rebhühner und Fasane als rein
betrachtet.
Zu den rituell reinen Fischen werden jene gezählt, die gleichzeitig
Schuppen und Flossen haben und sich durch Laichen vermehren. Es
dürfen also genossen werden Karpfen, Forellen, Lachse oder Heringe.
Verboten dagegen sind Störe, Aale und Haie. Gemüse, Obst und Eier
und von den fertigen Nachspeisen Eis (ohne Milch) werden als neutral
("parve") angesehen, sind also immer rein. Sie dürfen sowohl mit den
Fleisch- als auch den Milchspeisen zusammen genossen werden - in
dieser Hinsicht gibt es keinerlei Beschränkungen.
Die Trennung von Milch- und Fleischspeisen gehört im Judaismus zu den
grundlegenden. Sie erklärt sich aus dem Verbot, Fleisch und Milch
zusammen zu verzehren, den Zubereitungsprozess eingeschlossen.
Deswegen sind in der Küche zweierlei Geschirr, Bestecke,
Küchentücher, ja sogar gesonderte Ausgüsse erforderlich. Denn
dreimal wiederholt die Bibel: "Du sollst das Böcklein nicht kochen
in seiner Mutter Milch" (2. Mose 23, 19; 34,26; 5. Mose 14,21). In
ärmeren Haushalten, wo es schwer war, dieses Gebot zu befolgen,
wurden Geschirr und Besteck vor dem erneuten Gebrauch koscher
gemacht, indem man sie mit siedendem Wasser ausbrühte. Unter Milch
ist nicht nur diese selbst zu verstehen, sondern auch alle aus
derselben hergestellten Produkte, also Butter, Sahne und Käse. Dies
hat natürlich grundsätzliche Bedeutung für den Geschmack und die
Bekömmlichkeit der jüdischen Küche: Es gibt hier keine sämigen
Suppen aus Fleischbrühe, die mit Sahne abgeschmeckt werden. Dasselbe
betrifft die Saucen. Viele Nachspeisen gehören einfach nicht zum
Speisezettel, z.B. Milchpudding.
Milchspeisen dürfen nicht unmittelbar nach Fleischgerichten bei
demselben Mahl genossen werden. Die Pause beträgt je nach Tradition
von einer bis zu sechs Stunden. Dagegen kann man zuerst Milchspeisen
und dann Fleischgerichte essen, allerdings unter der Bedingung, dass
man den Mund ausspült und ein Stückchen Brot kaut. Nach Käse
jedoch, besonders nach Weißkäse, muss traditionsgemäss eine
längere Pause eingelegt werden.
Die zweite der grundlegenden Vorschriften verbietet den Genuss von
Blut. Daher ist sowohl das Schlachten der Tiere als auch die
Vorbereitung des Fleisches strengen, rigoristisch befolgten Gesetzen
unterworfen. Da dies eine komplizierte, bestimmtes Wissen erfordernde
Tätigkeit ist, kann sie nur von einem qualifizierten Schächter
("Schochetg" ausgeführt werden, der eine Prüfung abgelegt und
entsprechende Berechtigungen (die "Kabbala") erworben hat. Zum
Schächten werden rituell reine ("tabor") und gesunde Tiere bestimmt.
Für Konsumzwecke dürfen keine krepierten Tiere verendet werden
sowie Tiere, die auf andere Art als durch den Schächter getötet
wurden.
[...]
Jahrhundertelang hat man immer wieder versucht, den jüdischen
Speisevorschriften auf den Grund zu gehen. Große Gelehrte,
Philosophen, Kommentatoren der Bibel und des Talmuds erblickten hier
letzten Endes eine Verbindung von Hygienegrundsätzen, also von
rationeller, nicht zu fetter, gesunder Ernährung, mit moralischen
Prinzipien. Einschränkungen in der Nahrung machen den Menschen
vollkommener; sie zügeln die leiblichen Bedürfnisse und richten
sein Interesse auf höhere Dinge des Geistes und der Seele; sie
verfeinern seine Natur und machen ihn enthaltsamer. So wie es die
alten Griechen gesagt haben: "Wir leben nicht, um zu essen; wir
essen, um zu leben." Das Essen soll kein Zweck an sich sein.
Diese strengen Beschränkungen führten im Ergebnis zur Herausbildung
einer ganz besonderen, nur den Juden eigenen Küche, die geringe
regionale Abarten aufweist.
Die traditionelle jüdische Speisekarte besteht also aus Rind-, Kalb-
und Hammelfleisch, Fischen, Innereien, Geflügel und Brot. Zu Brot
zählen auch verschiedener Art Brötchen, Striezel, Strudel und
Matze. Hauptgetränk ist der Wein. Es werden natürlich auch andere
Getränke genossen wie Bier, Mineral- und Sodawasser oder der
berühmte jüdische Slibowitz, genannt Pesachowka.