Gentile Sermini und einer Erzaehlung von Odile Redon, Francoise
Sabban, Silvano Serventi Erfasst von Rene Gagnaux
Zuerst das Rezept: Lassen Sie den Aal von Ihrem Fischhaendler
ausnehmen, sorgfaeltig haeuten und in Stuecke schneiden. Die
Aalstuecke auf Spiesschen stecken, dazwischen Lorbeerblaetter. Eine
Mischung aus Essig, Oel und der Gewuerzmischung vorbereiten und in
ein Gefaess giessen, in das man den Rosmarinzweig taucht.
Die Spiesschen in etwas Entfernung von der Glut roesten und haeufig
mit der obigen Mischung mit Hilfe des Rosmarinzweigs uebertraeufeln.
Das Garen gut ueberwachen, damit der Aal nicht zerfaellt.
Wenn der Aal gar ist, die Stuecke in einem tiefen Teller verteilen
und den Saft der Orangen, Zitronen und Granatapfel dareuebergiessen,
mit gemahlenem Ingwer und Kardamom ueberstreuen. Warm halten und
lauwarm servieren.
Und nun die Geschichte... Ser Meoccio war Pfarrer von Pernina, einer
Kirche der Montagnola, nahe Siena. Mehr als alles andere liebte er
eine gute Mahlzeit und liess sich von seinen Pfarrkindern beschenken.
Ser Meoccio bestand besonders auf der Wichtigkeit solcher Gaben, die
fuer den Heiligen des Namenstages abgegeben wurden. Die
leichtglaeubigen Baeuerinnen schmueckten also den Altar der Kirche
mit allem, was ihr Garten, ihr Huehnerhof und ihre Herden hergaben.
In jenem Jahr fiel Sankt Vinzenz (22. Januar) auf einen Freitag; ein
Mann namens Vinzenz kaufte also fuer den Pfarrer einen schoenen Aal
von 10 Pfund (3.3 kg) und trug ihn ins Pfarrhaus, aber er kam zu
spaet, der Pfarrer war schon gegangen, um die Messe zu zelebrieren.
Dessen ratloser Koch ging zur Kirche und zog im Portal stehend die
Aufmerksamkeit des Priesters auf sich, indem er heftig gestikulierend
den Aal zeigte. Der Pfarrer verstand; er war aber gerade dabei, von
den Wundern und dem Martyrium des Heiligen Vinzenz zu erzaehlen, also
aenderte er seine Predigt, idem er eine offensichtlich etwas schwache
Ueberleitung waehlte: "Sankt Vinzenz ass und trank maessig; er war
nicht wie jene Fressaecke von heute, und deshalb werde ich eine
Geschichte erzaehlen, deren Zeuge ich war..." Und er erzaehlte, wie
sein Herr und vier junge Kameraden einen dicken Aal kochten; er
selbst bediente am Tisch. Das Rezept wird also als Exemplum von der
Kanzel herab verkuendigt. Exemplum ist eine bilderreiche, mit
Selbsterlebtem grundierte Erzaehlung, die ein Priester in seine
Predigt einflocht, um seine Schaefchen zu ueberzeugen. Nach dem
Rezept schildert der Pfarrer das Menue, um dann mit einem hastigen
Redeschluss zu enden, denn Ser Meoccio ist in Eile, er moechte zu
Hause die Vorbereitungen des Festmahls ueberwachen. Sechs Priester
schlagen sich dem Bauch voll, berichtet Sermini weiter, waehrend
Vinzenz und seine Familie in einer benachbarten Huette Bohnen und
Kleinkram essen.
Die Geschichte koennte hier enden, aber Sermini ist in Fahrt
gekommen. Die satten Priester verfallen in ekstatische Zustaende und
stimmen das Te Deum an. Aufgescheucht durch die Schreie und den
Gesang, eilen Vinzenz und seine Familie herbei. Um den exzessiven
Gesang zu rechtfertigen, erfindet Ser Meoccio die Erscheinung des
heiligen Vinzenz, der ihm ueberschwenglich fuer ein Festmahl gedankt
habe, von dem er keinen Bissen abbekommen hatte. Der Pfaffer
verbreitet Wundereffekte mit einem Duft von Heiligkeit, indem er
Rosenwasser ueber der frommen Familie versprengt.
Wir sind im 15. Jahrhundert, und der Unwille gegen eine korrupte
Kirche steigt. Lodovico Salerni, ein Stadtbuerger, klueger als die
Bauern, demaskiert den schlechten Priester: Sermini ist immer
unbarmherzig, sowohl mit Kirchenleuten als auch mit Erdenmenschen. Im
Eifer des Gefechts nimmt Ludovico das Brevier des Pfarrers an sich:
"Darin standen nur Kochrezepte, in denen alle denkbaren Speisen und
Leckereien aufgefuehrt waren, ausserdem die Art, sie zuzubereiten,
die Saucen, zu denen sie zu essen waren, und die Jahreszeit, wann man
sie zu kochen hatte".
Auf dieses Gebetbuch bezieht sich ganz sicher auch das Rezept zu
Ehren von Sankt Vinzenz, kehren wir nun dahin zurueck und ueberlassen
wir Ser Meoccio seinem traurigen Schicksal, denn er flieht aus Angst
vor dem Inquisitor und dem Bischof, wird von Piraten gefangen und
erleidet Schiffbruch in der Tibermuendung; schliesslich findet er als
einzige Anhilfe vor Hunger und Armut die Barmherzigkeit von Lodovico
Salerni.
Noch heute wird am Ufer des Trasimenischen Sees der Aal gewoehnlich so
zubereitet. Vorzugsweise sollte er auf einem Barbecue gegart werden,
denn dort ist er leichter zu roesten als in einem Ofen am Spiess. Da
die Orangen des Mittelalters nicht suess waren, wurde hier eine