Gin: Neutraler Alkohol, vermischt mit ein paar Extras, mag nicht
jedermanns Sache sein, doch vielleicht liegt gerade darin der
besondere Reiz
Die Frucht des Wacholders ist eine im zweijaehrigen reifen Zustand
schwarze Scheinbeere. Sie enthaelt Oel, Harz, Invertzucker und
Gerbstoff und dient als harntreibendes Mittel, Baederzusatz, Gewuerz
und Basis fuer den Wacholderbranntwein. Diese Spirituose, damals noch
Genever genannt, wurde 1575 durch die niederlaendische Firma Bols
(heute eine der aeltesten und groessten Spirituosenfirmen der Welt)
auf den Markt gebracht.
Zunaechst wurde er in ganz Europa verbreitet, doch in England sollte
der Genever eine ganz besondere Entwicklung einleiten. Als Wilhelm
III von Oranien zur Verhinderung einer dauerhaften katholischen
Dynastie auf den britischen Thron gehoben wurde und England in
Personalunion mit Holland regierte, brachten seine Soldaten ihre
eigene Medizin gegen die moeglichen Folgen des unwirtlichen Klimas
mit. Aus Genever wurde die englische Bezeichnung Gin, und Koenigin
Anna erleichterte 1702 den Aufbau einer einheimischen
Schnapsindustrie, indem sie nur auslaendisch Erzeugnisse mit hohen
Steuern belegte. Gin war nun an jeder Ecke fuer wenig Geld zu
erstehen, und ein Grossteil der armen Klassen suchte Trost in ihm.
Welche Ausmasse der Alkoholismus annahm, zeigt der Stich "Gin-Lane"
von William Hogarth aus dem Jahr 1754. Bezeichnend ist ein Schild
ueber der dort abgebildeten Bar: "Drunk for a penny, Dead drunk for
two pennies, Clean Straw for Nothing" (Fuer einen Penny kann man sich
besaufen, fuer zwei Pennys totsaufen, Stroh gibt es umsonst). In den
folgenden Jahren gelang es, das Alkoholproblem einigermassen in den
Griff zu bekommen, und die Erzeugnisse gewannen an Qualitaet. Das
Ergebnis war ein Gin, wie wir ihn heute kennen: der London Dry Gin.
Ausserdem bekam der Gin nun ein anderes Image. Waehrend er frueher
als billiger Fusel der sozialen Unterschicht galt, nippten nunmehr
auch die feinen Ladys der viktorianischen High-Society immer oefter
an einem kleinen Glaeschen. Bei den Besserbetuchten kamen auch
spezielle, luxurioes eingerichtete "Gin Palaces" in Mode. Beliebt war
der Gin vor allem in Verbindung mit dem eben bekanntgewordenen, aus
Chinarinde gewonnenen Tonic der Firma Schweppes.
1920 wurde die Gin-Herstellung durch ein Gesetz zum erstenmal genau
vorgeschrieben. Es verbot den Herstellern, die Beeren, die fuer die
Destillation erforderlich sind, selbst zu brennen, und verpflichtete
sie, praktisch reinen Alkohol (mindestens 96 Prozent) zu verwenden.
Die Aera der industriellen Gin-Produktion war damit angebrochen. Ob
er auf der Basis von Getreide (Roggen, Mais usw.) oder von Rueben,
Zuckerrohr oder Wein hergestellt wird, auf jeden Fall raubt ihm eine
derartige Alkoholbereinigung jegliches zusaetzliche Aroma, das
geschmackliche Nuancierungen verursachen koennte. Der Alkohol ist
also voellig neutral, unabhaengig davon, wie er zubereitet wird.
Die Herausforderung fuer den Gin-Hersteller ist die richtige Auswahl
der Ingredienzen, mit denen man diesen neutralen Alkohol parfuemiert.
Die Menge und die Zusammenstellung der verwendeten Zutaten machen die
Originalitaet jeder Marke aus, allerdings werden die meisten
Rezepturen streng geheimgehalten.
Die beruehmten klassischen Gin-Cocktails, die heute auf der Karte
jeder Bar zu finden sind, stammen allerdings aus den USA. Es begann
mit dem Martinez, der 1860 zum erstenmal in San Francisco gemixt
wurde. Weltberuehmt wurde der Martini, der aus fuenf Teilen Gin und
zwei Teilen trockenem Wermut besteht und nicht verruehrt werden
durfte, als er in einem James-Bond-Film mit Eis geschuettelt werden
sollte. Er wird dann mit einer Olive und etwas Zitrone in einem
vorgekuehlten Cocktailglas serviert. Es gibt noch unzaehlige Rezepte
fuer Mixgetraenke auf Gin-Basis, wie den Gin Fizz, Bronx, Haberfield,
Caruso und viele andere.